Konferenz: »10 Jahre Morgenstadt«

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Rückblick: »10 Jahre Morgenstadt« - Von urbanen Innovationen und gemeinsamem Experimentieren

 

»10 Jahre Morgenstadt« - Von urbanen Innovationen und gemeinsamem Experimentieren

Seit nun mehr zehn Jahren setzt die Morgenstadt-Initiative der Fraunhofer-Gesellschaft darauf Systeminnovationen für die Stadt von morgen gemeinsam mit Kommunen und Wirtschaft vorauszudenken, entwickeln und zu erproben. Das Innovationsnetzwerk »Morgenstadt: City Insights«, welches im April 2012 auf der Hannover Messe von zahlreichen Partnern und Fraunhofer-Instituten gestartet wurde, fußt dabei auf der Überzeugung, dass der Schlüssel für die großen Herausforderungen unserer Zeit in der klimaneutralen und digitalen Transformation unserer Städte liegt. Seither wurden über 30 Forschungs-, Entwicklungs- und Transferprojekte mit über 100 Partnern aus Kommunen, Wirtschaft und Forschung initiiert und zahlreiche Berichte, Studien und Methoden veröffentlicht.

Aus diesem Anlass haben wir gemeinsam mit über siebzig Gästen und Teilnehmenden im Auditorium des Zentrums für Virtuelles Engineering ZVE am Fraunhofer IAO einen Blick zurück und in die Zukunft geworfen: Wie hat die Vision der Morgenstadt und angewandter Forschung das Verständnis urbaner Systeme geprägt? Welchen Beitrag hat die Fraunhofer-Initiative in einem Jahrzehnt durch Forschung und Innovation geleistet? Wie sieht die Zukunft urbaner Systeminnovationen aus? Wie erreichen wir nachhaltige smarte Städte und Regionen, welche die Bedarfe von Bürgerinnen und Bürgern adressieren, und die Notwendigkeit einer digitalen und klimaneutralen Transformation berücksichtigt? Diese und weitere Fragen wurden in der Fachkonferenz am 5. Dezember 2022 beleuchtet.

Die Veranstaltung wurde durch den Institutsleiter des Fraunhofer IAO, Prof. Dr. Wilhelm Bauer, mit Perspektiven auf die bisherige Entstehung der Smart City Landschaft in Deutschland eröffnet. Anschließend gaben Steffen Braun, Direktor des Forschungsbereichs Stadtsystemgestaltung und Hendrik Frieling, Forschungskoordinator der Morgenstadt, eine Übersicht auf die zentralen Herausforderungen und Trends der urbanen Transformation. Diese umfassen neben der Hyper-Urbanisierung, der Klimafolgenanpassung und der technologischen Beschleunigung auch Wandlungstreiber wie die »5D«: Dekarbonisierung, Demokratisierung, (De)Regulation, und Digitalisierung.

Themenschwerpunkt 1: Fraunhofer-Forschung für die Städte von morgen

Im Anschluss an den Ausblick auf die nächste Forschungsphase der Morgenstadt-Initiative eröffnete Dr. Susanne Bieker (Fraunhofer ISI) den Themenschwerpunkt mit der Keynote »Städte unter dem Klimawandel. Aktuelle Herausforderungen in unterschiedlichen Sektoren«. Dr. Bieker betonte dabei die Effekte von Bebauung für das Stadtklima, die Wichtigkeit naturnaher Wasserkreisläufe sowie die Potentiale der Sektorkopplung und der smarten Steuerung urbaner Systeme für den städtischen Klimaschutz – vor allem im Hinblick auf sektorübergreifende und kreative Lösungen zwischen z.B. Wasser, Energie und Digitalisierung.

Thematisch anschließend hob Dr. Marius Mohr (Fraunhofer IGB) die Themenfelder Wasserversorgung, Siedlungsentwässerung inkl. Abwasserreinigung und Überflutungsschutz in seinem Beitrag hervor. Hierbei ging Mohr ebenso auf die Entwicklung und Anwendungsfelder der Morgenstadt City Lab Methodik in zahlreichen Städten im In- und Ausland ein, sowie die aktuellen Vorbereitungen der Morgenstadt-Initiative im Bereich Digitalisierung des Trinkwassersektors (#InDigWa) ein.

Im abschließenden Impuls des Themenblocks präsentierte Michaela Lödige (Fraunhofer IOSB-INA) die Rolle smarter urbaner Datenplattformen als Kernstück der Dateninfrastruktur einer Kommune und gab Auskunft über die Hürden in der Umsetzung der Technologie. Die Anwendungsbeispiele zeigen das immense Potential der urbanen Datenplattformen, die bei ganzheitlicher Betrachtung nicht nur Groß- sondern auch Klein- und Mittelstädte besteht. Jedoch ist die bisherige Umsetzung der Plattformen in vielen Kommunen oftmals noch im konzeptionellen oder pilotierten Status und bedarf eines flächendeckenden Roll-Outs in der Praxis.

Themenschwerpunkt 2: Klimaschutz und Digitalisierung zusammendenken – Best Practices aus der Morgenstadt

Den zweiten Themenschwerpunkt eröffneten Alexandra Idler (Stadt Mannheim) sowie Fatma Cetin (IAT, Universität Stuttgart) mit der Projektvorstellung von »SMARTilienceGoesLive«, einem dreiphasigen BMBF-Transferprojekt welches aktuell in die Umsetzungsphase geht. Hier werden die bereits erarbeiteten Strategien aus der vorherigen Projektphase und Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimafolgenanpassung in den Städten Halle und Mannheim in die Anwendung überführt. Sowohl das Steuerungstool »Urban Governance Toolbox«, mit zugehörigen Maßnahmensteckbriefen als auch die Begleitforschung konnten den beteiligten Städten einen erheblichen Mehrwert bieten, welche zukünftig im Sinne des strukturierten Wissenstransfer weiteren Kommunen ermöglicht wird.

Inwiefern offene Datenökosysteme für den kommunalen Klimaschutz von Bedeutung sind, erörterte Dr. Alanus von Radecki (Daten-Kompetenzzentrum für Städte und Regionen DKSR), in seiner Keynote und betonte die Bedeutung von Daten als »systemischen Klebstoff« für die komplexer werdenden urbanen Systeme. Mittels Open Source Lösungen wird es Städten ermöglicht, eigene Plattformen und lokale Fachkompetenz aufzubauen. Die Fraunhofer-Ausgründung DKSR erfüllt hierbei die Rolle der Wissens- und Kompetenzvermittlung für kommunale Mitarbeitende. Der Umgang mit Datenkompetenz, der auf kommunaler Ebene vielerorts noch fehle, müsse dringend behoben werden, damit die technischen Möglichkeiten von offenen Datenökosystemen voll ausgeschöpft werden können.

Den Abschluss des zweiten Themenschwerpunkts markierte Stefan Müller-Schleipen mit einer Vorstellung der Initiative »Die Stadtretter« sowie der Kooperation mit der Morgenstadt-Initiative. Gemeinsam wurde im Herbst 2020 die Innovationspartnerschaft ‚Morgenstadt: Future Public Space‘ initiiert für die zukunftsgerichtete Transformation der Innenstädte, die durch Trends wie Digitalisierung, Online-Handel, pandemische Situationen, Inflation, etc. geprägt werden. Damit sich Städte diesen Herausforderungen nicht allein stellen müssen, haben die Stadtretter eine Wissens- und Vernetzungsplattform gegründet, die mittlerweile über 1.100 Städte in Europa zählt. Die Zusammenarbeit über die Plattform zielt auf die Schaffung gemeinsamer Standards, die bundesweit implementiert werden und Prozesse vereinfachen können.

Themenschwerpunkt 3: Innovationen neu denken – lokale Forschungskooperationen als Treiber der nachhaltigen Smart City

Den Beginn des dritten Themenschwerpunkts setzte der Vortrag »Zukunftsstadt Konstanz: Smart Wachsen mit dem LexiKON« von Nicole Conrad (HTWG Konstanz), Cansu Yapici (IAT Universität Stuttgart) und Andreas Klostermeier (Stadt Konstanz). Das im Jahr 2015 gestartete Projekt beschäftigt sich mit der Wohn- und Lebenswelt der Bürgerschaft im Jahr 2030 – mit Fokus auf das Modellquartier ‚Am Horn‘ als beispielhaftes Projekt der nationalen Stadtentwicklung. Das im Kontext des Projekts erarbeitete LexiKON bildet zu diesem Zweck ein digitales Werkzeug für komplexes Wissens- und Prozessmanagement unter Einbeziehung diverser Akteure. Es enthält Handlungsfelder, Maßnahmen und Empfehlungen für Projekte zu Biodiversität und zur Steigerung der Klimaresilienz.

Den Blick nach Chiang Mai (Thailand) richtete Urban Kaiser (Fraunhofer IMW) in seinem Vortrag »CHARMS - Nachhaltige Entwicklung urbaner Regionen« und zeigte auf, wie traditionelle Bebauungsstrukturen auf die wachsenden Anforderungen des Klimawandels über unterschiedlichste Kulturen und Lebensstile hinweg vorbereitet werden können. Kaiser fokussierte sich hierbei auf die besonderen mikroklimatischen Bedingungen in Chiang Mai bedingt durch die Tallage und den damit einhergehenden Problematiken in den Luftverhältnissen in traditionellen Holzhäusern. Neben der Abdichtung und Innenraumdämmung der Häuser bieten IT-basierte Technologien unter Zuhilfenahme von GIS-Karten und Sensorik praktische Lösungsansätze für die Problematiken der Region.

Von Thailand ging es im nächsten Vortrag in die tschechische Hauptstadt Prag mit dem Blick auf »Prague’s perspective: How cities learn and transform through experimentation«. Dort wurde eines der ersten internationalen Morgenstadt City Labs durchgeführt und seither fast alle Maßnahmen der damaligen Strategie erfolgreich umgesetzt. Tomas Vacha von der Stadt Prag und Petr Suska vom Fraunhofer IAO betonten die Potenziale zwischen Forschung und kommunalem Handeln für die Herausforderungen der jüngsten Vergangenheit. Der Lösungsansatz der Stadt Prag für dieses weitverbreitete Planungsproblem bestehen im direkten Experimentieren für eigene Forschungserkenntnisse und dadurch transformativen Veränderungsprozessen – innerhalb der Stadtverwaltung sowie der Kooperation mit weiteren städtischen Akteuren. So wird ein konstanter Austausch der Bevölkerung, der Stadt und weiteren Akteuren der Zivilgesellschaft als auch der Kunst und Kulturszene ermöglicht.

Gemeinsame Reflektion und Ausblick mit dem früheren Fraunhofer-Präsidenten

Nach den Vorträgen adressierte die Panel-Diskussion mit Vertreterinnen der drei Themenschwerpunkten unter Moderation von Steffen Braun (Fraunhofer IAO) die aktuellen Fragestellungen, wie sich die Komplexität urbaner Systeme noch besser bewältigen und vor allem selbst verstärkende Veränderungsprozesse etabliert werden können. Hierbei könnten digitale Werkzeuge mit künstlicher Intelligenz sowie neue Kooperationsmodelle neue Lösungsansätze bieten.

Prof. Dr.-Ing. habil. Prof. e.h. mult. Dr. h.c. mult Hans-Jörg Bullinger wagte zum Abschluss einen innovationspolitischen Rückblick und Einordnung der letzten zehn Jahre Morgenstadt und nationalen Strategien. Ursprünglich wurde die Morgenstadt-Initiative von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft ins Leben gerufen, um für Großstädte und Megacitys weltweit innovative Lösungen aus Deutschland als stark wachsender Exportmarkt zu etablieren. Allerdings zeigte sich rückblickend, dass dieses Ziel Deutschlands im globalen Wettbewerb kaum erreicht wurde. Dennoch wurden langfristige Innovationsstrategien erstellt, zahlreiche Innovationsprojekte initiiert, die unterschiedliche Sektoren verknüpfen und Stadtsysteme ganzheitlich betrachten.  Für die Zukunft regte Bullinger einen stärkeren Fokus für die Städte der Zukunft auf Bereiche wie Bioökonomie, Kreislaufwirtschaft sowie die Integration zukunftsweisender Schlüsseltechnologien wie Quantencomputing und künstliche Intelligenz an.

 

Zeitlicher Ablauf der Veranstaltung

Zeit

Thema

 

Redner*in

12:30

Ankunft und Registrierung ZVE

Zeitgleich Lunch

 

 

13:00

Begrüßung   Prof. Dr.-Ing. Prof. e. h. Wilhelm Bauer (Institutsleiter, Fraunhofer IAO) 
Die Morgenstadt – Perspektiven auf zukünftige Entwicklungen der urbanen Systeminnovation   Steffen Braun (Leitung Forschungsbereich Stadtsytemgestaltung, Fraunhofer IAO & Hendrik Frieling
(Forschungskoordinator Morgenstadt, IAT Universität Stuttgart)

Themenschwerpunkt 1:
Fraunhofer-Forschung für die Städte von morgen

(Moderation: Hendrik Frieling, Forschungskoordinator Morgenstadt, IAT Universität Stuttgart)

13:20

Städte unter dem Klimawandel. Aktuelle Herausforderungen in unterschiedlichen Sektoren.

 

Dr.-Ing.  Susanne Bieker (Leitung Transformations- und Innovationssysteme urbaner Räume, Fraunhofer ISI)

13:35

Alles fließt – Wasser in der Morgenstadt

 

Dr.-Ing  Marius Mohr (Leiter Innovationsfeld Wassertechnologien und Wertstoffrückgewinnung, Fraunhofer IGB)

13:50

Smarte urbane Datenplattformen im Bereich Umwelt und Energie   Michaela Lödige ( Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fraunhofer IOSB-INA)
14:05 Q&A Session    Speaker:innen des Themenschwerpunkt 1

Themenschwerpunkt 2:
Klimaschutz und Digitalisierung zusammendenken – Best Practices der Morgenstadt

(Moderation: Rebecca Nell, Teamleiterin Urban Goverance Innovation, Fraunhofer IAO)

14:15

SMARTilienceGoesLive: Hitzeaktionsplan und Urban Governance Toolbox   Fatma Cetin (Wissenschaftliche Mitarbeiterin, IAT, Universität Stuttgart) und Alexandra Idler (Projektkoordinatorin im Fachbereich Klima, Natur und Umwelt, Stadt Mannheim) 

14:35

Ein offenes Datenökosystem für den kommunalen Klimaschutz   Dr.-Ing. Alanus von Radecki (CEO, Daten-Kompetenzzentrum für Städte und Regionen DKSR)

14:50

Future Public Space - gemeinsame Initiative von Morgenstadt und den Stadtrettern  

Stefan Müller-Schleipen (Initiator der Initiative Stadtretter GmbH)

15:05 Q&A Session    Speaker:innen des Themenschwerpunkt 2

15:15

Kaffee und Networking 

 

ZVE

Themenschwerpunkt 3:
Innovationen neu denken – lokale Forschungskooperationen als Treiber der nachhaltigen Smart City

(Moderation: Steffen Braun, Leitung Forschungsbereich Stadtsystemgestaltung, Fraunhofer IAO) 

15:35

Zukunftsstadt Konstanz: Smart Wachsen mit dem LexiKON

 

Nicole Conrad (Wissenschaftliche Mitarbeiterin, HTWG Konstanz) Cansu Yapici (Wissenschaftliche Mitarbeiterin, IAT Universität Stuttgart) und Andreas Klostermeier (Projektkoodrination Zukunftstadt Konstanz)

15:50

CHARMS – Nachhaltige Entwicklung der urbanen Regionen Chiang Mai

 

Urban Kaiser (Leiter der Forschungsgruppe Innovationsakzeptanz, Fraunhofer IMW) 

16:05

Prague’s perspective: How cities learn and transform trough experimentation 

 

Tomas Vacha (Innovationsmanager, Stadt Prag) und Petr Suska (Teamleiter Urban Economy Innovation, Fraunhofer IAO)

16:20 Q&A Session   Speaker:innen des Themenschwerpunkt 3

Fazit und Ausblick

16:30

Übergreifende Panel-Diskussion aus den drei Themenschwerpunkten:

Was ist die DNA für die Städte von morgen zwischen Forschung, Systeminnovation und Kooperation?

  Moderation: Steffen Braun (Leitung Forschungsbereich Stadtsystemgestaltung, Fraunhofer IAO) 

17:00

Keynote: 10 Jahre Morgenstadt & Stadtsystemgestaltung – Stock-Taking & Zukunftsaussichten

 

Prof. Dr.-Ing. habil. Prof. e.h. mult. Dr. h.c. mult. Hans-Jörg Bullinger (Präsident a.D. Fraunhofer-Gesellschaft)

17:30

Get-together & Networking

 

ZVE

18:30

Ende der Veranstaltung