»Morgenstadt International« in Vietnam – Fraunhofer präsentiert Forschungsansätze für die Smart City in Asien

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12.12.2017 

Stuttgart / SaigonMorgenstadt goes East! Auf keinem Kontinent wächst die Bevölkerung so rapide wie in Asien. Dies führt zu einem enormen Druck auf die dortigen Städte, die mit einem jährlichen Bevölkerungswachstum zu kämpfen haben, das in Europa oder Nordamerika kaum vorstellbar ist. Eine ganze Reihe der dortigen Großstädte steht daher zu Beginn des 21. Jahrhunderts an der Schwelle zur Megacity, doch das ist nicht die einzige Herausforderung der sich asiatische Metropolen stellen müssen. Der pazifische Raum ist überdies mit deutlich stärkeren Folgen durch den Klimawandel konfrontiert und die Wirtschaft des größten Erdteils wächst ebenfalls seit Jahren rasant und erfordert zunehmends eine Infrastruktur die mit den damit einhergehenden Belastungen Schritt hält. In Vietnam hat man sich nun auf den Weg gemacht die Zukunft der eigenen Städte dynamisch aber auch nachhaltig zu prägen. Den Weg der Metropolen des Landes hin zur Smart City möchten die Wissenschaftler der Morgenstadt Initiative dabei mit ihrer Expertise begleiten. Hierfür fand kürzlich ein Austausch zwischen den Fraunhofer-Forschern und den lokalen Akteuren in Saigon (Ho-Chi-Minh-Stadt) im Rahmen der Veranstaltung »Morgenstadt International« statt. Wir haben darüber mit dem verantwortlichen Wissenschaftler, Petr Suska, gesprochen, der uns im Interview zahlreiche faszinierende Eindrücke von seinen Besuch in dem ostasiatischen Land näher bringen konnte.

 

 

1. Hallo Petr, du hast kürzlich die Morgenstadt Methode bei der »Morgenstadt International«, einer gemeinsamen Veranstaltung des Fraunhofer IAO und der Vietnamesisch-Deutschen Universität von Saigon in der vietnamesischen Hauptstadt, Ho-Chi-Minh-Stadt, vorgestellt. Könntest du uns etwas mehr über die Veranstaltung erzählen, unseren Lesern berichten wie es zu der Kooperation kam?

 

P.S.: Die Veranstaltung ist Teil eines gemeinsamen Projekts des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der Fraunhofer-Gesellschaft. Der Zweck des Projekts ist es, die Zusammenarbeit zwischen deutschen und vietnamesischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen zu vertiefen. Neben vietnamesischen Einrichtungen sind auch indische involviert. Das Ziel des Projekts ist es, bereits entwickelte globale Ansätze auf lokale Herausforderungen für die Stadt von Morgen zu übertragen. Sowohl die Deutsch-Vietnamesische Universität als auch das Fraunhofer-Büro in Bangkok waren wichtige Partner bei der Durchführung des Events, das für das Fraunhofer IAO von besonderer Bedeutung war. Hier konnte vor internationalem Publikum der Morgenstadt-Ansatz, die City Lab Methode und die Value of Urban Data Innovationspartnerschaften einer breiten Öffentlichkeit präsentiert werden.

 

 

2. Der asiatische Markt ist extrem dynamisch und wird für westliche Staaten und insbesondere Unternehmen immer wichtiger. Was ist dabei besonders an Vietnam und warum ist das Land so interessant für Smart City Projekte?

 

P.S.: Vietnam war in den vergangenen 20 Jahren eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Erde. Die Wachstumsrate an Menschen, die ein Smartphone besitzen und das Internet verwenden, ist phänomenal. Die Städte entwickeln sich ebenfalls extrem schnell. Dazu gibt es in dem Land zahlreiche Großprojekte, wie zum Beispiel das Saigon Silicon Valley, welches ein Investitionsvolumen von 1,5 Mrd. US-Dollar umfasst. Eines der meistdiskutierten Themen des Landes sind derzeit Smart City Entwicklungen. Es gibt bereits zahlreiche Planungen für smarte Quartiersprojekte in Saigon, Hanoi und Da Nang im Volumen von mehreren Milliarden US-Dollar. Viele Unternehmen aus der Bau- und Beratungsbranche zeigen bereits starkes Interesse daran dort mitzuwirken. Das Fraunhofer IAO könnte diese Projekte durch die große Expertise im Bereich Smart City Developements wissenschaftlich begleiten und auch dabei unterstützen, den übergeordneten Qualitätsanspruch gerecht zu werden, z.B. die vorab Begutachtung von Projektplänen.

 

 

3. Die Bevölkerung wächst nirgends auf der Welt schneller als in Asien. Viele Städte auf dem Kontinent werden sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu Megacities entwickeln. Was bedeutet dies für Smart City Projekte und worin unterscheiden sich diese in Asien von denen in Europa? 

 

P.S.: In Teilen Asiens schreitet die Urbanisierung unglaublich schnell voran, besonders in China. Mehr als 500 Millionen Menschen sind in den vergangenen 30 Jahren aus den ländlichen Gebieten der Volksrepublik in die Städte gezogen. Eine solche Entwicklung ist in Europa nahezu unvorstellbar. Dies führte auch zu zahlreichen negativen Folgen in der Stadtentwicklung, wie den inzwischen bekannten chinesischen Geisterstädten Ordos oder Kangbashi im Norden Chinas. Die Urbanisationsrate in Vietnam ist mit 3,4% pro Jahr deutlich höher als in Deutschland mit lediglich 0,12%. Darüber hinaus leben derzeit erst 34% der 94 Millionen umfassenden vietnamesischen Bevölkerung in urbanen Ballungsräumen. Zum Vergleich, in der Europäischen Union liegt der Durchschnitt bei 73%. Vietnamesische Städte standen und werden auch zukünftig unter dem Druck stehen, sich an den enorm starken Zuzug anzupassen. Jedoch muss das städtische Wachstum zukünftig nachhaltiger werden. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere, für die Stadtentwicklung, wichtige Faktoren. So besagte bereits 2011 ein Bericht der Weltbank, dass Vietnam eines der fünf meistbetroffenen Länder des Klimawandels sein wird. Der Energiebedarf des Landes wächst jährlich um 10%, dabei ist Vietnam stark abhängig von Kohle als Hauptenergiequelle. 63 Millionen Tonnen werden jährlich verschließen, um 50% der benötigten Elektrizität zu produzieren. Dies macht es nötig, nachhaltigere Ansätze zu entwickeln. Hierbei möchte das Fraunhofer IAO unterstützen und strebt eine Partnerschaft mit Saigon an, um ein gleichmäßigeres und nachhaltigeres Wachstum der Stadt zu fördern. Smart City Projekte in Vietnam unterscheiden sich von denen in Europa aufgrund der genannten Umstände deutlich. Sie müssen über die Beschaffung einiger E-Busse oder den Bau einer neuen U-Bahn-Linie hinausgehen. Die aus dem rapiden Bevölkerungswachstum entstehenden komplexen Fragestellungen müssen dabei adressiert werden und gleichzeitig müssen auch globale Megatrends, die sowohl Gefahren als auch Chancen für moderne Städte und Gesellschaften bieten, bedacht werden. 

 

 

4. Wie ich bereits eingangs erwähnt habe, hast du die Morgenstadt Initiative beim »Morgenstadt International« in Ho-Chi-Minh-Stadt repräsentiert. Kannst du uns ein wenig mehr über die thematische Ausrichtung der Veranstaltung erzählen und unseren Lesern einen Eindruck geben, wer alles dort anzutreffen war?

 

P.S.: Es gab eine ganze Reihe von Präsentationen, die in drei thematischen Blöcke untergliedert waren: Smart Energy und Planning Tools, Smart ICT Applikationen sowie Smart Governance und Management Systeme. Im ersten Block diskutierten wir über integriertes Energie Design und Raumkonzepte, Nullenergie-Quartiere, das Internet der Dinge und verbundene Services sowie der Digitalisierung von städtischer Infrastruktur. Im zweiten Block ging es sowohl um Open Data Plattformen für Smart Cities als auch um digitale Gesundheitsfürsorge. Im letzten Block konzentrierten wir uns auf die Finanzierung von Smart City Projekten, Beteiligungsformen für Anspruchsgruppen und smarten Managementverfahren für Saigon. Die Referenten kamen dabei aus unterschiedlichen Bereichen, von Forschungseinrichtungen über Unternehmen bis hin zur öffentlichen Hand. Dabei nahmen auch zahlreiche Vertreter der Fraunhofer-Gesellschaft teil, unter anderem vom Fraunhofer IAO und Fraunhofer FOKUS aber auch des Fraunhofer-Büros in Bangkok. Auch die universitäre Forschung war durch Vertreter der Deutsch-Vietnamesischen Universität präsent. Neben Wissenschaftlern waren aber auch kommunale Vertreter der Binh Duong Smart City Province oder der Städte Da Nang und Saigon zugegen und natürlich Repräsentanten von Unternehmen wie Siemens oder Bosch.

 

 

 

5. Offensichtlich ist Vietnam ein sehr interessanter Partner sowohl für Unternehmen als auch für Forschungseinrichtungen. Kannst du uns sagen, ob es bereits Planungen für weitere ähnliche Veranstaltungen in Vietnam oder anderen Ländern gibt und wie sehen die nächsten Schritte der Fraunhofer-Gesellschaft dabei aus?

 

P.S.: Es wird definitiv noch mindestens eine weitere Veranstaltung dieser Art im März 2018 geben. Das Fraunhofer IAO unterzeichnet dabei eine Absichtserklärung mit der Deutsch-Vietnamesischen Universität in Saigon. Darüber hinaus befinden wir uns in offenen Gesprächen mit Regierungsvertretern, in denen es darum geht, wie das Fraunhofer IAO zu einer nachhaltigeren Zukunft vietnamesischer Städte beitragen kann.

 

Danke Petr für das Interview und viel Erfolg bei den zukünftigen internationalen Projekten.

 

ss7 

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