Wie sieht die Zukunft des Autonomen Fahrens aus?

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16.05.2017 

Vergangenen Monat verkündeten die beiden deutschen Branchenriesen Daimler und Bosch, dass sie in einem gemeinsamen Forschungsprojekt bis 2020 vollkommen autonom fahrende Fahrzeuge für den Stadtverkehr entwickeln möchten. Ursprünglich war dies erst für 2030 geplant, jedoch ermöglichen es der technische Fortschritt und die wirtschaftlichen Aussichten nun selbstfahrende Fahrzeuge schneller als erwartet in Serie zu bringen. Vielen Menschen ist dabei nicht bewusst, dass das autonome Fahren das Potential hat unser gesamtes Mobilitätsverständnis zu revolutionieren, schließlich müssen selbstfahrende Autos nicht vor dem Gebäude warten bis sie ihr Besitzer nach dem Verlassen der Arbeitsstätte wieder benötigt, sondern können derweil zum Beispiel die Kinder von der Schule abholen oder Einkäufe entgegennehmen. Auch die Eigentümerschaft an Fahrzeugen ist hiermit nicht mehr selbstverständlich. Wenn Autos auf Bestellung immer dann zur Verfügung stehen, wenn wir sie benötigen, kann dies auch durch Dienstleister angeboten werden. Die Notwendigkeit eines eigenen Fahrzeugs entfällt, ebenso wie der kostspielige Unterhalt. Das somit stark veränderte Verkehrsaufkommen hätte auch immense Auswirkungen auf unsere Städte und Verdichtungsräume. Sowohl Straßen als auch Parkplätze und Wohngebiete müssten zukünftig anders gedacht werden 

Welche Veränderungen genau auf unsere Städte zukommen, untersucht derzeit ein Forscher des Fraunhofer IAO. Claudius Schaufler arbeitet an einer Studie, die mögliche Zukunftsszenarien entwickelt und somit einen Ausblick auf die Stadtentwicklung im Schlagschatten einer veränderten Mobilität gibt. In unserem Interview wagt er mit uns einen Blick in die urbane Zukunft.

 

 

1. Claudius, du bist am Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation im Bereich Mobilitätsforschung tätig. Derzeit arbeitest du dabei an einer Studie über den Einfluss des autonomen Fahrens auf unsere Städte. Kannst du unseren Lesern erklären wie du dabei vorgehst?

 

C.S.: Die Technologie des autonomen Fahrens befindet sich noch in einem so frühen Stadium, dass die derzeitige Debatte sehr stark von Möglichkeiten und Wünschen geprägt ist. Automobilhersteller möchten beispielweise Unfälle vermeiden, die Reisezeit angenehmer gestalten und neue Kundengruppen erschließen. Währenddessen erhoffen sich Städte weniger Stau und Luftverschmutzung sowie eine effizientere Nutzung von Energie. Wann und in welchen Besitzverhältnissen autonome Fahrzeuge in unserem Alltag auftauchen werden, bleibt dennoch schwer abzuschätzen.


In der Studie beschäftige ich mich daher weniger mit der Technologie an sich, sondern analysiere anhand von Szenarien den möglichen Kontext, in dem sich autonome Fahrzeuge widerfinden könnten. Klar, der Gedanke ein Auto per App zu bestellen und während der Fahrtzeit einen Film zu schauen, Lebensmittel zu bestellen oder etwas zu arbeiten, ist sehr attraktiv. Dennoch sind viele europäische und vor allem amerikanische Städte schon heute sehr abhängig vom Autoverkehr, mit straßendurchzogenen Stadtkernen und steigender Suburbanisierung. Daher stellt sich zuerst die Frage wie die Stadt aussehen soll, in der wir in Zukunft leben wollen, um schließlich die Technologien zu finden, die uns diese Vision ermöglichen können.


Genauso gehen wir dabei vor, wir ermitteln ein Stadtbild, das von einer Vielzahl von Verkehrsmodi lebt und platzieren das autonome Fahrzeug genau da, wo es unter verschiedensten Nachhaltigkeitsaspekten den größten Nutzen erfüllt. Ein Ergebnis dieser Szenarien sind beispielsweise freiwerdende Flächen, die zuvor für Parkplätze und Straßeninfrastruktur genutzt wurden. Das Ziel der Studie ist erreicht, wenn wir diese Effekte nicht nur aufzeigen, sondern Städte dazu inspirieren, diese für eine langfristige Steigerung der Lebensqualität anhand urbaner Umstrukturierungen zu nutzen.

 

 

2. Gerade im Automobilland Baden-Württemberg haben zahlreiche Akteure an der Zukunft des Autos Interesse, schließlich ist ein bedeutender Teil der Menschen direkt oder indirekt im Automobilsektor tätig. Wie weit sind deiner Meinung nach die deutschen Automobilhersteller im Bereich autonomes Fahren im internationalen Vergleich?

 

C.S.: Konkurrenten aus dem Silicon Valley haben sicherlich schon mehr autonom gefahrene Kilometer mit ihren Testfahrzeugen zurückgelegt, was in meinen Augen jedoch nicht deren Erfolg garantiert. Die vor kurzem eingegangene Kooperation zwischen Bosch und Daimler zeigt, dass wir an unseren Standorten sehr gute Voraussetzungen haben und Synergien aus verschiedensten Branchen mit enormem Know-how nutzen können, ohne jegliche Geschäftsfelder neu aufbauen zu müssen. Außerdem sehe ich die Automatisierung als ein Teilstrang in der Entwicklung des Automobils, der mit der Elektrifizierung als auch Neuinterpretation des Interieurs einhergehen wird. Hersteller, die es schaffen, das beste Komplettpaket anzubieten, werden da sicher Vorteile haben.


Neben all diesen fahrzeuggebundenen Komponenten spielt ebenso das Nutzungskonzept und die Einbettung der Technologie in ein funktionierendes digitales Ökosystem eine entscheidende Rolle. Es gilt die Schnittstellen zum Kunden zu überdenken, was Uber beispielsweise sehr eindrucksvoll aufgezeigt hat.

 

 

3. Jeden von uns interessiert es natürlich, wie die Zukunft aussehen wird. In deiner Studie ist die Rede von drei möglichen Szenarien der autonomen Mobilität, würdest du diese unseren Lesern kurz schildern und uns sagen, welches deiner Meinung nach das wahrscheinlichste ist?

 

C.S.: Für einen nachhaltigen Einsatz autonomer Technologie werden die Besitzverhältnisse entscheidend sein. In unserem Business-as-usual-Szenario bleibt das autonome Fahrzeug in der Hand einzelner privater Kunden, es findet so gut wie kein Sharing statt. Im zweiten Szenario betrachten wir eine Umgebung, in dem mit Car- als auch Ride-Sharing ein großer Anteil der Nachfrage gedeckt wird, was im dritten Szenario um eine starke Interkonnektivität zum öffentlichen Verkehr erweitert wird. Gerade Letzteres kann einen beachtlichen Effekt auf die Anzahl der benötigten Fahrzeuge als auch des Pro-Kopf-Energieverbrauchs haben. 


Wahrscheinlich ist im bisherigen politischen Rahmen eine Mischung aus Szenario eins und zwei, sodass autonome Fahrzeuge durchaus geteilt und dadurch besser ausgelastet werden, der gesteigerte Komfort bei geringeren Kosten jedoch zu Rebound-Effekten führen kann. Intermodale urbane Mobilität sollte daher nicht nur auf Technologie basieren, sondern mit passenden Strategien in der Stadt- und Mobilitätsplanung einhergehen.

 

 

4. Claudius, du untersuchst die Auswirkungen des autonomen Fahrens auf Städte. Wo liegen die besonderen Herausforderungen und Chancen, denen sich Städte durch das autonome Fahren gegenübergestellt sehen?

 

C.S.: Wie soeben genannt stellen sogenannte Rebound- Effekte eine enorme Herausforderung für Städte dar. Konkret meine ich damit einen Mehrverbrauch an Energie durch Veränderungen im Mobilitätsverhalten der Nutzer. Ein einfaches Beispiel: Ein Auto wird effizienter und verbraucht dadurch weniger Benzin, was wiederum die variablen Kosten pro gefahrenem Kilometer senkt. Folglich werden Besitzer eines Autos dazu motiviert noch mehr zu fahren. Ähnliches könnte passieren, wenn wir die Zeit im Auto anders nutzen können und beispielweise längere Pendlerstrecken keine Barriere mehr darstellen. In diesem Fall treten zudem sekundäre Rebound-Effekte auf, wie dem gesteigerten Bedarf an Straßeninfrastrukturen. 


Chancen sehe ich unter der richtigen Anwendung ganz klar in der Platzeinsparung. Weniger Parkplätze sowie Straßen können neue Räume in der Stadt eröffnen. Weitere Potentiale liegen im sozial gerechten Ausbau des Mobilitätsystems, das auch in schlecht an das ÖPNV-System angebundenen Gegenden den Zugang zur Stadt und damit Jobs eröffnet. Der Modal Split könnte dadurch weitaus vielfältiger und ausgeglichener werden, als es noch heute der Fall ist.

 

 

5. Das Projekt hat eine Laufzeit bis Oktober 2017. Wie sehen die nächsten Schritte in den kommenden Wochen und Monaten aus?

 

C.S.: Nach dem Analysieren des Status-Quo steht nun die Ausarbeitung der Szenarien an. Danach werden wir die ersten Effekte auf das Stadtbild skizzieren um anschließend eine Tool-Box mit Einflussgrößen für Städte zu entwickeln. Nach der Validierung des Indikatoren-Katalogs in Experten-Interviews wenden wir diesen schlussendlich in einigen europäischen Städten an. Danach sollten wir ein genaueres Bild davon haben, welche räumlichen Potentiale die Technologie in verschiedensten urbanen Umgebungen haben kann.  

 

Vielen Dank Claudius für das Interview und viel Erfolg bei deiner Untersuchung.

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